Die Rückkehr der Karavellen

Vorneweg: Für dieses Buch von António Lobo Antunes braucht man doch einiges an geschichtlichem Wissen über Portugal und vor allem Interesse daran. Ohne ein gewisses Grundverständnis für die portugiesische Kolonialgeschichte, die „großen Entdeckungen“ und die politischen Umbrüche im 20. Jahrhundert bleibt vieles abstrakt oder schwer zugänglich. Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einem vielschichtigen, sprachlich anspruchsvollen Roman belohnt, der tief in die kollektive Erinnerung eines Landes eintaucht.

Ein weiteres Buch, das in vielen literarischen Kanons auftaucht – und mein erstes Werk von António Lobo Antunes. Die Rückkehr der Karavellen hat mich neugierig gemacht: ein klangvoller Titel, ein gefeierter Autor, ein Roman, der mit Sprache experimentiert und sich tief in die portugiesische Geschichte gräbt. Doch um ehrlich zu sein: Es war eine Herausforderung. Ein faszinierender Text, aber auch ein fordernder – und einer, mit dem ich nicht durchwegs warm geworden bin.

Was hier abliefert wird, ist keine lineare Geschichte, keine klassische Dramaturgie mit Anfang, Höhepunkt und Auflösung. Stattdessen ein vielstimmiges Chorwerk aus Erinnerungen, Gedankenfetzen und inneren Monologen. Die Figuren – darunter historische Persönlichkeiten wie Vasco da Gama oder Pêro da Covilhã, aber auch fiktive Gestalten – vermischen sich mit den Stimmen moderner Menschen. Es ist, als ob Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig existieren, als würde Portugal sich selbst im Spiegel betrachten – und dabei seine Kolonialgeschichte, seine Wunden und Träume noch einmal durchleben.

Der Stil ist dabei radikal: lange, manchmal seitenlange Sätze, keine klassischen Absätze, ein bewusstes Spiel mit Wiederholungen, Klang und Rhythmus. Man wird in die Gedankenwelt der Figuren hineingeworfen – ohne Erklärung, ohne Orientierung. Das kann faszinierend sein, fast schon hypnotisch. Aber es kann auch ermüden, vor allem dann, wenn man den roten Faden zu verlieren droht.

Dieses Buch will nicht gefallen, es fordert. Es nimmt sich Zeit. Und es verlangt auch vom Leser, sich Zeit zu nehmen – und Geduld. Manche Passagen habe ich tatsächlich mehrfach lesen müssen, um ihren Rhythmus oder ihre Bedeutung zu erfassen. Andere hingegen haben mich direkt gepackt: durch ihre lyrische Wucht, durch die Verzweiflung, die in ihnen mitschwingt, oder durch den feinen, bitteren Humor, der immer wieder aufflackert.

Thematisch ist Die Rückkehr der Karavellen ein großes Panorama portugiesischer Identität. Es geht um Macht, um Schuld, um die Kolonialzeit und ihre Nachwirkungen, aber auch um Einsamkeit, Selbsttäuschung und das Verlieren des eigenen Platzes in der Welt. Der Titel ist dabei fast ironisch zu verstehen: Die großen Seefahrer kehren zurück – aber nicht als Helden, sondern als Schatten, als gebrochene Spiegelbilder eines nationalen Mythos.

Trotz all dieser spannenden Ansätze hat mich der Roman über weite Strecken eher auf Distanz gehalten. Vielleicht, weil mir der Zugang zu den vielen Stimmen schwerfiel. Vielleicht auch, weil die emotionale Verbindung zu den Figuren in diesem Stimmengewirr manchmal verloren ging. Und doch gibt es Absätze und einzelne Sätze, die ich mir notiert habe. Weil sie sprachlich so dicht, so schön und gleichzeitig so traurig waren.

Für mich war es ein schwieriges und komplexes Buch. Kein Roman zum Nebenbei-Lesen, sondern ein literarischer Brocken. Man braucht Geduld und einen offenen Geist. Wer sich für postkoloniale Themen interessiert, für Sprachexperimente und für Bücher, die eher Fragen stellen als Antworten geben, wird hier auf seine Kosten kommen. 📚✨

Buchinformation:
Die Rückkehr der Karavellen
António Lobo Antunes
Luchterhand Literaturverlag
1996
ca. 288 Seiten


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