White Tears

White Tears von Hari Kunzru ist ein Roman, der einen nicht so leicht loslässt. Es ist faszinierend und verstörend zugleich. Er erzählt von Musik und Rassismus. Dem Amerikanischen Traum und kultureller Aneignung, der längst zum Albtraum geworden ist. Beim Lesen schwankten meine Gefühle: Die erste Hälfte hat mich völlig gepackt und die zweite war etwas befremdlich. Schwer in Worte zu fassen. Trotzdem bleibt das Buch stark und hallt lange nach.

Die Geschichte beginnt fast filmisch: Zwei junge Männer in New York sind besessen von alter Blues-Musik. Sie sammeln Schallplatten und jagen seltenen Aufnahmen hinterher. Verlieren sich dabei in der Nostalgie vergangener Zeiten. Diese Welt ist voller Atmosphäre. Man hört das Knistern der Vinylplatten und riecht den Staub alter Studios. Die erste Hälfte liest sich dabei fast wie eine ironische Liebeserklärung an die Hipster-Kultur, die schwarze Musik romantisiert, ohne ihre Geschichte wirklich zu verstehen.

Doch dann kippt der Roman. Aus einer klugen Beobachtung über Musikleidenschaft wird ein düsteres, fast unheimliches Spiel mit Realität und Erinnerung. Geister tauchen auf und Grenzen fangen an zu verschimmen. Schuld und Gewalt aus der Vergangenheit brechen hervor und Gegenwart und Geschichte vermischen sich. Das ist intensiv und bildgewaltig, aber auch fordernd. Manche Passagen sind so symbolisch und sprunghaft, dass man sich beim Lesen fast verliert und doch wirkt das nie zufällig. Der Autor will keine bequeme Geschichte erzählen, sondern eine, die schmerzt.

Gerade dadurch entfaltet der Roman seine Kraft. Er zeigt uns wie tief Rassismus und kulturelle Ausbeutung in der amerikanischen Kultur verwurzelt sind. Selbst auch dort, wo sie scheinbar nur Musik betrifft. Die Sprache ist dabei präzise und rhythmisch. Manchmal fast wie ein Blues-Stück mit Hypnotischer Wirkung.

Am Ende bleibt White Tears ein widersprüchliches, aber starkes Buch. Die erste Hälfte begeistert und die zweite fordert zur Geduld auf. Für mich fühlte es sich ab der zweiten Hälfe wie Bruch an und vielleicht liegt genau darin sein Reiz. Kein Roman, den man einfach „mag“ oder „nicht mag“. Es zwingt uns förmlich über Geschichte Schuld nachzudenken. 📚✨

Buchinformation
White Tears
Hari Kunzru
liebeskind
2017
ca. 352 Seiten


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