Selten hat mich ein Buch so ratlos zurückgelassen wie dieses. Alles schien dafür zu sprechen, dass es ein starkes und eindringliches Werk werden würde. Kazuo Ishiguro ist ein renommierter Autor, ausgezeichnet mit dem Nobelpreis und berühmt für seine sprachliche Präzision. Doch die anfängliche Vielschichtigkeit verflüchtigt sich bald. Zurück bleibt ein Roman, der sich in seinem eigenem Gewebe verliert und am Ende enttäuscht.

Die Handlung spielt zwischen England und dem kolonialen Shanghai der 1930er-Jahre. Im Zentrum steht ein Ermittler, der versucht, sein Kindheitstrauma aufzuarbeiten. Diese Spurensuche zwischen Vergangenheit und Gegenwart kreist unweigerlich um die Frage: Was ist Wahrheit, was Einbildung? Was zunächst nach einer eleganten Mischung aus Detektivgeschichte und Erinnerungserzählung klingt, entpuppt sich als Desaster. Es wirkt wie ein seelenloses Gebilde, das weder als Krimi noch als psychologischer Roman überzeugt.
Der Text schwankt zwischen analytischer Distanz und emotionaler Überladung. Die Erzählung wird zunehmend absurder und irgendwie sucht man vergeblich einen Subtext. Alles scheint bedeutungsvoll gemeint und doch entfaltet nichts eine echte Wirkung. Szenen ziehen sich endlos hin und so viele der Dialoge wirken hölzern. Die Atmosphäre bleibt kühl und es baut sich auch keine Spannungsbogen auf.
Thematisch ist der Roman überfrachtet: Erinnerung, Identität, Kolonialgeschichte und moralische Verantwortung – alles wird angerissen und wirklich nichts wird durchdrungen. Die vielen Ebenen überlagern sich, ohne ein Ganzes zu ergeben.
Ansonsten liest sich der Roman leicht und die Kapitellängen sind angenehm ausgewogen. Die Sprache bleibt insgesamt zugänglich, ohne jedoch sprachlich zu fesseln oder echte Tiefe zu entwickeln. Auch der Lesefluss ist solide, doch er kann die inhaltlichen Schwächen nicht überdecken.
Am Ende verliert sich das Werk in seiner eigenen Symbolik. Was als tiefgründige Erkundung menschlicher Selbsttäuschung gedacht ist, wirkt bloß konstruiert und leblos. Statt Emotionalität oder Erkenntnis bleibt Ratlosigkeit. Für mich definitiv das schlechteste Buch dieses Jahres und absolut keine Leseempfehlung. 📚✨
Buchinformation
Als wir Waisen waren
Kazuo Ishiguro
Heyne Verlag
2000
ca. 416 Seiten
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