Ich habe „Die bürgerliche Revolution“ von Markus Krall gelesen und war schockiert. Das Buch entspricht nicht meinen Erwartungen. Es ist kein sachliches Werk sondern ein ideologisch aufgeladenes Manifest. Zu Beginn wirkt es noch recht harmlos aber im Verlauf verfällt es dann in eine dramatische Verdrehung von Tatsachen und gefährliche Vereinfachungen die fast schon verdummend wirken. Der Autor nutzt radikale Begriffe und eine dramatische Rhetorik. Damit stellt er sich gegen den Staat und gegen jede Form sozialer Gerechtigkeit.
In dem Buch stellt er die Gesellschaft als „verfault“ und „kollabierend“ dar und sieht den Zusammenbruch als notwendig an um ein neues System zu schaffen. Der Staat die „Linken“ und die „Leistungslosen“ werden für diesen Verfall verantwortlich gemacht. Was hier gemacht wird ist eine massive Vereinfachung komplexer gesellschaftlicher Probleme. Die Gesellschaft wird auf einige wenige Feindbilder reduziert. Wer nicht der Meinung des Autors ist wird zum Feind erklärt. Das führt zu einer Polarisierung und spaltet die Gesellschaft noch weiter. Wer sich diesem System widersetzt wird einfach zum Gegner erklärt.
Ein zentrales Konzept des Buches ist ein radikal libertäres Weltbild. Es fordert das Verschwinden des Staates und eine völlige Übertragung aller gesellschaftlichen Aufgaben an den „freien Markt“. In dieser Vision wird der Staat zum „Parasit“ der den freien Markt behindert. Der Markt soll das einzige Gesetz sein. In einer solchen Welt überleben aber natürlich nur die wirtschaftlich Starken. Die Schwächeren sind außen vor und wären allem hilflos ausgeliefert. Menschen mit geringem Einkommen? Sie haben in dieser Welt keinen Platz. Es wird von „Freiheit“ gesprochen doch diese Freiheit gilt nur für die Reichen und Starken. Der Rest der Gesellschaft wird ignoriert und in einer solchen Welt gibt es aber auch keine soziale Gerechtigkeit. Der schwache Mensch zählt nichts.
Eine genauere Erklärung des Begriffs „freier Markt“ könnte hier helfen die Thesen klarer zu hinterfragen. Ein freier Markt ist ein Wirtschaftssystem in dem Angebot und Nachfrage ohne staatliche Eingriffe den Preis von Waren und Dienstleistungen bestimmen. Doch der Autor verkennt die sozialen und ethischen Herausforderungen die dieses System mit sich bringt. Ein Markt der keinerlei Rücksicht auf soziale Gerechtigkeit oder die Bedürfnisse der Schwächeren nimmt führt zu einer Gesellschaft der extremen Ungleichheit.
Der Sprachstil des Buches ist besonders beunruhigend. Es wird von einer „Ära der Lügen“ oder einer „Systemverwesung“ gesprochen. Solche Begriffe erzeugen Angst und verzerren die Wahrnehmung der Realität. Der Ton ist oft extrem und die Sprache erinnert an extremistisches Gedankengut. Statt einer sachlichen Analyse wird hier Wut geschürt. Die fehlenden Fakten und die Abwesenheit einer wirklichen Lösungsdiskussion tragen zur Verunsicherung bei. Es geht nicht um eine fundierte Auseinandersetzung sondern um die Schaffung eines Bildes der Apokalypse. Es wird die gesellschaftliche Situation dramatisiert und die Wahrnehmung der Realität verzerrt.
In den großen Medien wird das Buch kaum diskutiert was zunächst schwer zu verstehen ist. Sicher will niemand solche extremen Positionen öffentlich unterstützen aber Schweigen hat seine Folgen. Der Autor nährt in diesem Buch eine Verschwörungserzählung die behauptet die Medien würden die Wahrheit verbergen. Es wird der Eindruck erweckt dass nur er als der Autor die Wahrheit kennt. Diese Haltung ist gefährlich und sollte kritisch hinterfragt werden. Eine Auseinandersetzung mit solchen Thesen ist aber absolut notwendig um der Verbreitung solcher Ideen entgegenzuwirken. Es ist wichtig Quellen und konkrete Beispiele anzuführen um die Argumente zu untermauern und den Inhalt des Buches in einen breiteren Kontext zu stellen.
Warum fallen so viele auf solche Bücher herein? Warum glauben so viele an eine Lösung die hier in diesem Buch einfach nicht geliefert wird? Das Buch gibt keine Antworten auf die komplexen Fragen die es aufwirft. Es bietet keine praktikable Lösung sondern fordert lediglich eine dramatische Umgestaltung der Gesellschaft aber ohne weiter zu denken welch fatale Auswirkungen so etwas hat. Wir leben in einer Zeit von Unsicherheit und politischer Orientierungslosigkeit doch solch eine Rhetorik zielt darauf ab die Gesellschaft weiter zu spalten statt sie zu einen.
Diese Buch trägt nicht zu einer fairen Debatte bei. Es ist ein Angriff auf demokratische Werte und die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und Solidarität. Was als „bürgerliche Revolution“ dargestellt wird ist in Wirklichkeit ein Aufruf zu einer autoritären Gesellschaft. In einer solchen Gesellschaft zählen nur die Starken und Reichen. Die sowieso Abgehängten in unserer Gesellschaft würden außen vor bleiben und müssten jeden Tag um das Überleben kämpfen. Der freie Markt würde die Menschen ausbeuten und versklaven. Der freie Markt ist ein Traum der Reichen um noch mehr von ihrem „menschlichen Humankapital“ herauszuholen. Wer will schon in einer solchen Gesellschaft oder Autokratie leben?
Ich war zutiefst erschüttert von diesem Buch. Es propagiert eine gefährliche Ideologie die den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht. Solche Thesen dürfen nicht unbeachtet bleiben denn Schweigen hilft nur den Lautesten. Es ist unsere Verantwortung diesen Ideen entgegenzuwirken – mit Menschlichkeit sowie Argumenten und einem klaren Bekenntnis zur Demokratie. Denn solche Ideologien haben keinen Platz in einer gerechten Gesellschaft. Das ist kein Sachbuch sondern das gezielt Ausnutzen ungebildeter oder unreflektierten Menschen um seinen eigenen Reichtum zu vermehren.

Als Denkanstoß würde ich das Buch meiner letzten Rezension empfehlen: Februar 1933 von Uwe Wittstock. Das beschäftigt sich mit den Anfängen des Nationalsozialismus und wie schnell sich eine Demokratie in eine Autokratie verwandeln kann.
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